Geburtstag: | |
Nation: | Deutschland |
von Michael Braun
Stand: 01.03.2014
Große Dichter der Avantgarde, so bemerkte Theodor W. Adorno in seinen „Noten zur Literatur“, müssen sich nicht immer wieder zwanghaft ihre Wut auf die Vorfahren bestätigen, um deren Bann zu entrinnen. Anstatt auf der radikalen Differenz zur poetischen Tradition zu insistieren, versuchen die genuinen Avantgardisten die Tradition „als ihresgleichen wahrzunehmen“, wissen sie doch um ihre Wahlverwandtschaft zu jener Vergangenheit, die sie zu überwinden trachten. Das schneidende Verdikt: „Das geht nicht mehr“, das so mancher Neutöner im späten 20. Jahrhundert der lyrischen Tradition entgegenschleuderte, hat sich denn auch in der poetischen Praxis durchweg blamiert.
Im Versuch der emphatischen Rückgewinnung poetischer Tradition ist kaum ein Dichter der Gegenwart einen so konsequenten Weg gegangen wie der Lyriker Norbert Hummelt. In seinem Gedichtband „singtrieb“ (1997) hat er sich den Sehnsuchtston von Eichendorffs Romantik anverwandelt; in späteren Bänden öffnet sich Hummelt den poetischen Resonanzen Stefan Georges, indem er dessen poetischen Absolutismus der „reinen Sprache“ in eine zeitgenössische Gedichtsprache übersetzt. Das darf man eine außergewöhnliche Metamorphose nennen. Denn Hummelt hat ursprünglich als experimentier- und parodierfreudiger Autor im Umfeld der ironischen Sprachzertrümmerer Thomas Kling und Marcel Beyer ...