Nation: | Polen |
Stand: 01.06.2011
Von Georg Mrugalla
Der 1989 in Polen wie in den meisten sozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas vollzogene Übergang vom realen Sozialismus zum bürgerlichen Rechtsstaat führte zur Kommerzialisierung der Kultur und infolgedessen zu einer Wandlung des literarischen Lebens. Die Abschaffung der Zensur und die mit ihr verbundene Enttabuisierung politischer und religiöser Themen, die Reorganisation des Verlagswesens und die Privatisierung des Buchhandels, das Entstehen von Minderheitenorganisationen und subkulturellen Jugendgruppierungen sowie die Umgestaltung der Medienlandschaft ließen Produktions- und Rezeptionsbedingungen entstehen, die die Rolle der Literatur im kulturellen Leben des Landes veränderten. Weggefallen war die für den Literaturbetrieb im Polen der Nachkriegszeit typische Verbreitung der Printmedien durch zwei Vertriebswege: Neben den Publikationen der staatlichen Verlage, die – von den Zensurbehörden kontrolliert – das Sprachrohr des Regimes waren, bestand ein von der Zensur unabhängiger Umlauf, der die im Untergrund oder im Ausland in den Exilverlagen gedruckten Texte oppositioneller Schriftsteller beförderte. Die Autoren dieses „zweiten Umlaufs“ wollten Willkür und Verlogenheit der Obrigkeit durch „authentische Darstellung der Wirklichkeit“ enthüllen. In dem seit 1989 veränderten gesellschaftspolitischen Kontext, in dem die Legalisierung des „zweiten Umlaufs“ stattfand, kommt dem Schriftsteller nicht länger die Rolle des „gottbegnadeten Volkshelden“ ...