Von Andreas Pflitsch
Der nach geografischen Kriterien kleine Libanon hatte und hat eine in keinem Verhältnis zu seiner Größe stehende Bedeutung für die gesamte arabische Kultur und für die arabische Literatur der Moderne. Von hier gingen seit Mitte des 19. Jahrhunderts wichtige Impulse für den Prozess der Modernisierung in der arabischen Welt aus, und vor allem seine Hauptstadt Beirut wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Anziehungspunkt für Intellektuelle aus der ganzen arabischen Welt.
Jede verallgemeinernde Aussage über den Libanon, seine Geschichte und die Identität seiner Bevölkerung verbietet sich. Die Geschichte des Landes ist eine Geschichte der Migration, die libanesische Gesellschaft besteht aus Minderheiten, und die libanesische Kultur war und ist verschiedensten Einflüssen ausgesetzt. Die libanesische Literatur ist darum von einer Stimmenvielfalt geprägt, die diese vielschichtigen kulturellen Synthesen und Austauschprozesse zum Ausdruck bringt.
Jahrhunderte lang suchten immer wieder religiöse und ethnische Minderheiten Zuflucht in dem schwer zugänglichen und von den sich abwechselnden regionalen Mächten kaum kontrollierbaren Libanongebirge. Maronitische und griechisch-orthodoxe Christen, sunnitische und schiitische Muslime, die aus dem Islam hervorgegangenen Drusen, ferner Juden, später auch griechisch-katholische Christen und Protestanten kamen im Laufe der Zeit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Libanon Zufluchtsort ...